Gerechte Unterhaltskosten

Manchmal lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Zum Beispiel, wenn das Bundesamt für Statistik die durchschnittlichen Lebensunterhaltskosten pro Person berechnet – und dabei auf Zahlen kommt, die im Alltag vieler Pflegefamilien kaum mehr greifbar sind. Denn wo auf dem Papier vielleicht 10 bis 25 Franken pro Tag und Kind angesetzt werden, reicht das in der Realität oft nicht einmal für ein einfaches Mittagessen, geschweige denn für das, was ein Kind wirklich braucht, um gesund, geborgen und kindgerecht leben zu können.

Dabei hat das Bundesamt selbst eine klare Linie gezogen: Die minimalen Lebenshaltungskosten – also wirklich nur Unterhalt wie Essen, Kleider, Strom, Wasser, Abfall und Wohnen, ohne Versicherungen, ohne Krankenkassenprämien, ohne Arztrechnungen oder Zahnbehandlungen – liegen bei mindestens 67 Franken pro Tag und Person. Das ist die Basis. Und doch wird im Pflegekinderwesen genau dieser Betrag nicht einmal annähernd entschädigt. Stattdessen erhalten Pflegefamilien für denselben täglichen Unterhalt eines Kindes oftmals nur einen Bruchteil davon – manchmal kaum mehr als 20 Franken pro Tag. Ein Betrag, der in keinem Verhältnis steht zum tatsächlichen Aufwand und den Ansprüchen an eine gesunde, entwicklungsfördernde Betreuung.

Ein Kind hat nicht nur ein Anrecht auf Nahrung, sondern auf gute Nahrung. Wer Kinder betreut – sei es in einer Pflegefamilie, in der Kita oder im eigenen Zuhause – weiss, dass es nicht bei drei Mahlzeiten bleibt. Kinder haben kleine Bäuche, grosse Energie und einen Rhythmus, der fünf Mahlzeiten am Tag verlangt: Frühstück, Znüni, Mittagessen, Zvieri, Abendessen. Schon das Frühstück kostet. Und wenn es dann noch besondere Essensvorgaben gibt – etwa kein Schweinefleisch, vegetarisch oder laktosefrei, wie es leibliche Eltern oft mitbestimmen – steigen die Preise rasch. Bio-Produkte, frisches Gemüse vom lokalen Bauernhof, ein Stück Lammfleisch aus regionaler Haltung: Das ist verantwortungsvoll und richtig – aber es ist auch teuer. Ein kleines Stück Lamm kostet schnell einmal 12 Franken oder mehr. Und dann ist noch kein Reis, kein Gemüse, kein Öl, keine Gewürze dabei.

In der Kita bezahlt man für einen einzigen Betreuungstag schnell 110 bis 130 Franken – für einen einzigen Tag. Und das, obwohl viele Kitas subventioniert werden. Dort weiss man: Betreuung kostet. Essen kostet. Und wer Kinder mit offenen Armen aufnimmt, rund um die Uhr da ist, immer wieder die Balance zwischen Nähe und Halt findet, verdient Anerkennung – und Unterstützung. Nicht nur ideell, sondern auch finanziell.

Pflegefamilien leisten enorm viel. Es ist ein System, das Kindern Stabilität gibt, oft nach sehr schwierigen Erfahrungen. Aber es ist kein Sparmodell. Pflegefamilien zu finanzieren bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Es ist – wenn man es nüchtern betrachtet – vergleichbar mit dem Betrieb eines kleinen Wohnheims oder gar Altersheims. Der Alltag besteht aus Zuwendung, Betreuung, Verpflegung, Reinigung, Begleitung zu Therapien und Terminen, Auseinandersetzung mit Herkunftsfamilien, Schulwegen, Gefühlsausbrüchen, Nachtschichten. Wer hier mit 6 bis 24 Franken pro Tag rechnet – wie es manche Gemeinden oder Gerichte vorschlagen – blendet die Lebensrealität aus.

Denn mit diesem Betrag ist nicht einmal ein Pommes-Teller in der Badi bezahlt. Nicht der Eintritt, nicht die Glace danach, nicht das Znüni davor. Und schon gar nicht die neue Badehose, die im Wachstum jedes Jahr eine neue Grösse verlangt. Es ist kein Luxus, was Kinder brauchen – aber es ist auch kein Minimum. Es ist Leben, und Leben kostet. Liebe kostet nichts, aber alles andere schon.

Und wie machen es nun Pflegefamilien wirklich? Ganz praktisch, im Alltag? Insbesondere solche, die eigene Kinder haben, die es gewohnt sind, am Zvieri in der Badi einen Teller Pommes zu bekommen, um den unbändigen Appetit zu stillen, den Sonne, Wasser und Bewegung auslösen? Was, wenn daneben ein Pflegekind steht – auch hungrig, auch nass, auch mit glänzenden Augen – und dann jemand sagen müsste: „Du, heute leider nicht. Dein Unterhaltsbetrag für den Tag ist mit dem Mittagessen bereits aufgebraucht.“?
Natürlich sagt das niemand. Natürlich wird das nicht so gemacht. Kein Pflegevater, keine Pflegemutter sagt: „Sorry, für dich ist heute nichts mehr übrig.“

Alle Kinder werden gleich behandelt. Immer. Und natürlich bezahlen die Pflegeeltern diese Mehrkosten aus der eigenen Tasche. Still, verlässlich, aus dem Herzen. Weil es das Richtige ist. Und weil niemand möchte, dass Kinder sich abgewertet, aussortiert oder ausgeschlossen fühlen. Aber genau hier liegt der Knackpunkt: Das weiss auch das System.Und genau deshalb wird es oft stillschweigend in Kauf genommen. Man weiss: Pflegeeltern springen ein. Sie werden es schon richten. Sie machen es ja „gern“. Sie sagen nichts. Sie machen weiter.

Aber irgendwann braucht auch ein liebevolles System faire Bedingungen. Ein System, das nicht davon ausgeht, dass Fürsorge gratis sein muss. Pflegefamilien sind keine privaten Wohltätigkeitsanstalten – sie sind hochverantwortliche, tragende Säulen der Gesellschaft. Und wer sie stärken will, muss ihnen auch jene Mittel zur Verfügung stellen, die sie brauchen, um die Kinder wirklich zu tragen. Nicht im Minimum, sondern mit Würde.